Geschichten & Gespräche mit internationalen
Künstlern und Künstlerinnen
10.04.2010

Campino 2008

Er ist wie ein alter Krieger, der sich ohne Rücksicht auf Verletzungen in einen Kampf stürzt. Die letzte Verletzung hat er sich zwar nicht auf der Bühne zugezogen, sondern nach dem er sich wegen eines Fußballspiels tierisch geärgert hat, aber wenn man ihn sieht, wie er bei einem Konzert über die Bühnenkonstruktion oder den Lichtträger klettert, bleibt mein Herz jedes Mal stehen. Beim letzten Konzert in der Frankfurter Festhalle vor knapp drei Jahren, ging das ganze Licht aus. Campino kletterte bis zum höchsten Punkt der Bühnenkonstruktion mit einer Fackel in der Hand. Da gefriert einem das Blut in den Adern!

Oktober, 2008

Wir haben uns bei hr3 gemütlich zum Interview getroffen. Campino kam direkt aus Düsseldorf, dünner und schmaler als beim letzten Interview. Es geht ihm gut. Es geht ihm erstaunlich gut und das macht ihn ganz "kirre", sagt er. Alle körperlichen Verletzungen sind geheilt. Die Hosen waren in einer "kreativen Pause", wenn man es so nennen will. Campino stand auf der Theaterbühne, vor der Wim Wenders Filmkamera, er war politisch engagiert (G8), er hat mit Juanes einen Song aufgenommen und bevor das neue Hosen-Album erscheint, wird gemeldet: "Die Toetn Hosen Tour 2008 ist ausverkauft".

Wie kriegt Campino alle seine Aktivitäten unter einen Hut? "In dem ich gar nicht darüber nachdenke und das mache was gerade ansteht", antwortet er.

Wie ist das neue Album? Es heißt zwar: "In aller Stille", aber es ist "wahrscheinlich das lauteste Album, das wir je gemacht haben", versichert Campino. Sie sind zurück, "wie neugeboren" heißt es in "Strom". Das wird die erste Single aus dem neuen Album - es geht um Energie und die Lust am Leben. Und es geht um die Botschaft an die Fans: Wir sind da und eine Auflösung der Band war nie ein Thema. Apropos "Auflösung". Auf dem Album gibt es einen großartigen Liebessong "Ertrinken". Campino singt im Duett mit der Schauspielerin Birgit Minichmayr, die er bei der Arbeit zu der "Dreigroschenoper" kennen gelernt hat und mit der er einige Duette gesungen hat. Er wollte schon immer ein Duett aufnehmen und Birgit war absolut die Richtige. Es gibt einige Hymnen, typisch für die Toten Hosen ("Innen alles neu"), es gibt Nachdenkliches ("Wir bleiben stumm") und Melancholisches ("Tauschen gegen dich").

Statistiken und Rekordjagden "wie viele Platten verkauft, wie viele Hits gehabt" waren für die Toten Hosen nie der Antrieb für ihre Karriere, sie haben sich einmal für die Musik entscheiden und die Musik zu ihrem Beruf gemacht. "So lange die Erlebnisse in den Songs verarbeitet werden können, die eine Dringlichkeit ergeben, die wir gerne in Lieder umwandeln, so lange gibt es auch immer wieder eine Herausforderung neue Stücke zu schreiben und neue Alben heraus zu bringen. Natürlich gab es Phasen, in denen uns nichts Gutes einfiel, aber im Prinzip war immer klar, Musik ist unser Weg und deshalb gibt es nie die Frage, wann das aufhören soll. So lange sich Fantasie und der Traum durch den Kopf bewegen, so lange ist es möglich ein Lied zu schreiben und sich selber überraschen."

Natürlich geht kein Interview ohne das Thema Fußball. Der FC Liverpool steht sehr gut da, die Fortuna auch, die Bayern nicht so gut, (er würde ja sowieso nie zu den Bayern gehen).

Wenn sein Lieblingsclub FC Liverpool in die Hände der Banker gerät, die den Profit sehen und nicht den Sport, wie gefällt ihm das? Campino meint, die jetzige Finanzkrise habe den englischen Fußball voll erwischt, Campino ist zum Teil besorgt und verärgert, gleichzeitig weiß er, dass Fußball eine so große Unterhaltungsbranche ist, wie eine Marke, die weltweit verkauft wird und in der sehr schnell sehr viel Geld gemacht wird. Wenn jemand in der Premier-League 500 Millionen Schulden hat, wird einem zunächst schwindlig, das sind aber umgerechnet nur zwei Spielzeiten.

Die kommende Tour beginnt in Kürze, beim Konzert in Frankfurt wird es es auch einen Tannenbaum geben, Weihnachten mit den Toten Hosen... wenn Campino bloß nicht wieder klettert. Irgendwann brauche ich Herztropfen! Mama Hesselbach würde sagen: "Karl, mei Troppe!"





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