Geschichten & Gespräche mit internationalen
Künstlern und Künstlerinnen
02.03.2012

Charlie Winston

Damals, vor drei Jahren, waren alle von Charlie Winston angetan: sein Charme und seine Freundlichkeit haben einfach jeden beeindruckt. Mit dem Song "Like a Hobo" war er vor allem in Frankreich sehr erfolgreich, doch auch in Deutschland kam man im Radio nicht an diesem Song vorbei. Was hat sich seitdem getan? Nun, Charlie war seit April 2012 fast pausenlos unterwegs. Und das mit Folgen: er hat keine Wohnung mehr. Er lebt aus dem Koffer und man fragt sich, wo seine Sachen sind. Die Antwort: Fünf Kisten mit seinen Sachen befinden sich in einer Garage in Südengland. Charlie verspürt aber immer stärker den Wunsch, ein richtiges Zuhause zu haben. Er vermisst seine Bücher und er vermisst es, einen Rückzugsort zu haben.

"Like A Hobo": Stilikone Charlie Winston

Vor drei Jahren sah er wie ein Hobo, also wie ein Wanderarbeiter, aus: Hut, Anzug, alles sehr locker. Das hat sich inzwischen komplett verändert. Nachdem alle angefangen haben Hut und legere Anzüge zu tragen, hat sich Charlie etwas anderes einfallen lassen: er will das tragen, was keiner trägt. Nach dem Motto von Groucho Marx: "I don't want to belong to any club that will accept people like me as a member."

Charlie überlegt inzwischen sogar, ob er nicht vielleicht seine eigene Modelinie starten sollte. Man hat ihm schon öfter gesagt, dass er sich sehr originell kleidet. Und was hatte er bei seinem Besuch bei uns an? Ein blaues T-Shirt, darüber ein grün-grau gestreifter Pulli, eine Kassettenbrosche, im Pulli zwei Löcher, durch die er eine braun-karierte Krawatte durchgezogen hat und die mit zwei großen Sicherheitsnadeln am Pulli festgehalten wurde. Dazu eine Hose mit einer alten Taschenuhr und seine Haare waren ziemlich durcheinander.

"Hello Alone"

Aber reden wir über seine Musik. Über die aktuelle Single "Hello Alone" sagt er: "Beim Lied 'Hello Alone' geht es ums Alleinsein, um das Begrüßen der Einsamkeit wie einen alten Freund. So, als würde dich einer, den Du schon loszusein glaubtest, plötzlich wieder über Facebook kontaktieren oder dich anrufen, und Du mußt Interesse heucheln. Im Lied klopft der Freund an die Haustür und Du mußt ihn reinlassen. Er nimmt Platz auf Deiner Couch. Du kennst ihn nur allzu gut und obwohl Du die Einsamkeit alles andere als gut gebrauchen kannst, läßt sie dich doch zu dir kommen. In einer Beziehung zu leben, ist eine Herausforderung, die manchmal von großen Konfrontationen begleitet wird, aber allein hast Du diese ganzen Sorgen aus dem Kopf und kannst existieren. Nicht besser oder schlechter, nur anders. Man muß nur die Einsamkeit als Teil des Lebens akzeptieren."

"Running Still"

Das Album ist sehr rhythmisch. Bei manchen Songs denkt man: die könnten Peter Gabriel gefallen. Wie passend, denn Peter Gabriel unterstützt Charlie Winston. Über den Album-Titel sagt Charlie: "Für mich liegt der Unterschied darin: Wenn ich sage 'Still Running', deutet das Word 'Still' an, dass etwas immer noch geschieht. Wenn ich es aber umdrehe und daraus 'Running Still' mache, kann man es so interpretieren, dass jedes Wort seinen eigenen Platz hat. 'Running' gibt eine Bewegung an, 'still' aber setzt einen Stillstand voraus, also dass etwas still steht. Der Titel symbolisiert eine Art Fluss für mich. Ein Fluss ist in Bewegung, gleichzeitig aber scheint er oft ruhig vor sich her zu laufen. Ich selbst bin immer in Bewegung, möchte aber auch gelassen und besonnen sein. Das Hervorheben, Umstellen und Durchstreichen der Wörter zeigt zudem, dass es sich um einen Widerspruch, um einen Gegensatz handelt. In dem Album geht es viel um Gegensätze und das wollte ich mit dem Titel aufzeigen."

Auf der nächsten Tour singt er "Männer"

So gibt es auf dem Album Songs wie "Great Conversation", wo es darum geht, dass man immer weniger Zeit investiert und immer mehr erwartet. Es geht um die Mediatisierung des Lebens. Charlie fragt nach der Bereitschaft zuzuhören und sich gründlich mit der Kunst oder anderen Dingen zu beschäftigen. Er ist erst 33, aber es scheint ihm, dass Manches nur noch oberflächlich wahr genommen wird. Und so zitiert er Beethovens Mondscheinsonate, weil Beethoven der Inbegriff seiner Zeit war. Charlie ist der Meinung, dass man etwas erst lieben kann, wenn man sich damit beschäftigt hat und etwas Zeit investiert hat. Und da er Gespräche vermisst, schreibt er, und zwar Blogs. Und ein neues Ziel hat er sich vorgenommen: bis zum nächsten Konzert in Deutschland will er unbedingt "Männer" von Herbert Grönemeyer lernen - in Deutsch. Sehr witzig!

Wir wissen nicht ob sein neues Album erfolgreich sein wird oder nicht. Das ist aber auch nicht so wichtig, denn Charlie Winston bevorzugt es gute Alben zu machen - und nicht unbedingt Hits landen zu müssen.

Herbert Grönemeyer
Peter Gabriel




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