Geschichten & Gespräche mit internationalen
Künstlern und Künstlerinnen
13.12.2012

Philipp Poisel 2012

Wir sitzen im Backstage-Bereich der Alten Oper in Frankfurt, es ist 19. 10 Uhr. Um 20 Uhr muß Philipp auf die Bühne, aber er nimmt sich wieder Zeit. Nichts passiert bei Philipp flüchtig, nach jedem Treffen mit ihm bleiben nachhaltige Eindrücke.

Keine halben Sachen

"Ich habe noch gar nicht die Zeit gefunden, so wirklich zu reflektieren. Man hat immer mal wieder kurze Pausen, in denen man zurückschaut, wo man denkt: Schade, wie die Zeit verfliegt. Das zeigt aber auch, daß man irgendwie im Moment lebt, und dafür bin ich auch ganz dankbar. Wenn ich mir vorstelle, ich würde die ganze Zeit auf die Uhr schauen und überlegen: Wie lang geht's noch? Wie lange muss ich noch arbeiten? Wann gibt es nichts zu tun?

Es ist eigentlich so, daß alle, die hier mitarbeiten, das mit sehr viel Liebe machen. Auch daher beziehe ich ständig die Motivation. Nur die körperliche Energie, die ist begrenzt, man muß lernen zu haushalten. Oft möchten der Kopf und das Herz mehr, als man schaffen kann.

Und ich dachte eben, daß es schön wäre, wenn man die Menschen in Österreich und der Schweiz mal besuchen könnte, besonders abseits der großen Städte. Dort ist es nicht so einfach, mal schnell nach Wien oder Salzburg zu fahren: Sie kommen oft zu kurz. Da kommt man halt in zwei große Städte, und das war's dann. Dabei gibt's trotzdem genug Leute, die gerne mal zum Konzert kommen würden. Da habe ich mich ein bißchen übernommen.

Unser Konzertbooker Stefan macht keine halben Sachen. Ich dachte, lass uns noch ein paar Konzerte in Österreich und der Schweiz machen, nur Flo und ich und vielleicht ein Cello. Und nun sind es doch ein paar mehr geworden. Wir waren unterwegs im Campingmobil. Wenn wir angekommen sind, merken wir, was sich in der ganzen Zeit verändert hat seit den Tagen, als ich alles selber mit aufgebaut habe. Wenn ich manchmal im Konzertsaal sitze, und da unten arbeiten zehn bis fünfzehn Leute schon seit 8 Uhr, während die Musiker im Nightliner noch schlafen, da wir man dann schon ehrfürchtig. Man weiß eigentlich gar nicht so richtig, wie einem geschieht. Diese Menschen, die alles dafür tun, daß meine Musik im richtigen Licht erstrahlt...".

Kein typischer Popstar

2012 wurden seine Alben "Wo fängt dein Himmel an" und "Bis nach Toulouse" mit Gold ausgezeichnet. Philipp Poisel ist für viele kein typischer Popstar, und doch lässt sein Erfolg etwas anderes vermuten: die Leute rennen in Scharen in seine Konzerte und kaufen seine Alben. Das Livealbum "Projekt Seerosenteich" ging sofort nach der Veröffentlichung auf Platz 1 der Charts.

Was ist das Geheimnis des Erfolgs von Philipp Poisel? Philipp ist ein großartiger Songschreiber. Philipp ist anders als die anderen. Ihn interessieren andere Themen, ihn belasten andere Dinge. Er ist dünnhäutig, an ihm prallen Dinge nicht so einfach ab, er ist sehr emotional, introvertiert und ruhig. Ihm war es nie wichtig, ein Star zu werden. Er ist witzig, er kann seine Gedanken großartig mitteilen. Und er hat seinen eigenen Kopf: Es ist es ihm weniger wichtig, was Kritiker schreiben. Wichtig ist nur, wie das Publikum drauf ist. Das Erfolgsrezept sind seine Originalität und seine Einzigartigkeit. Mag sein, daß Philipp den Beschützerinstinkt weckt. Bei ihm spielen Äußerlichkeiten keine große Rolle.

Noch besser als im Mai

Zurück zum Konzert in der Alten Oper: Philipp singt: "Als gäb's kein morgen mehr", und so war es auch: er hat alles gegeben. Wir dachten zwar im vergangenen Mai, als Philipp viermal mit dem Projekt Seerosenteich im Sendesaal des Hessischen Rundfunks aufgetreten war, daß man das nicht übertreffen kann, aber in der Alten Oper hat er noch eine Schippe drauf gelegt.

"Musik, die mich wirklich berührt."

Ich hatte mir etwas Sorgen gemacht, denn Philipp war gestern nicht ganz gesund, er musste vor ein paar Tagen noch zwei Konzerte verschieben. Aber er hat den Abend in der Alten Oper bravourös gemeistert: Nach wie vor war das Projekt Seerosenteich eine wunderbare Mischung aus Konzert, Zirkus, Party und Burgtheater. Henni Nachtsheim von Badesalz gab auf Wunsch von Philipp den Zirkusdirektor! Henni war gerührt: "Ich genieße das. Es gibt so viele Klischees, aber das ist Musik, die mich wirklich berührt. Mir fällt kein deutscher Künstler ein, dessen Musik ich lieber höre und die mich mehr erreicht."

Das Konzert in der Alten Oper bestätigte noch einmal, daß Philipp Poisel den Nerv der Zeit getroffen hat, daß es eine große Zielgruppe gibt für Musik abseits des Kommerz, Musik, die echt klingt, die echte Gefühle vermittelt, die von einem echten Künstler gemacht wird, der kein marketinggesteuertes Projekt ist.

Philipp hatte am Ende wieder rote Bäckchen, er war gerührt, und am liebsten hätte er sich gleich wieder irgendwo versteckt...

Philipp Poisel




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