Geschichten & Gespräche mit internationalen
Künstlern und Künstlerinnen
10.04.2010

Simple Minds

Das ist mir auch noch nie passiert: Ich habe Jim Kerr erst am Donnerstag erwartet - und als einen Tag vorher das Telefon klingelte als ich in der U-Bahn saß und unsere Freundin von der Plattenfirma anrief war ich doch recht irritiert. Sie sagte fröhlich: "Wir sind gleich da..." - "??????" - "Ja, wir sind gleich da..." zwitscherte die Stimme am anderen Ende.

Nein, wir waren nicht an einem Donnerstag verabredet, sondern am Mittwoch und es war besagter Mittwoch. Ich habe zum ersten Mal einen Interviewtermin falsch notiert. Ich wurde panisch und stieg sofort in die U-Bahn zurück zum Hessichen Rundfunk. Außer Atem angekommen, sah ich Jim freundlich in der Tür stehen. Er gab mir noch etwas Zeit durchzuatmen und sagte beruhigend, er habe auch einmal etwas vergessen: bei einem Auftritt bei der Night of the Proms in Belgien, bei dem man immer nur drei Songs spielt, war er davon überzeugt, dass im Kleidersack alles ist, was er für den Auftritt braucht. So auch seine "Rock and Roll Schuhe". Er trug sonst Birkestocksandalen und damit ist man definitiv kein Rocker. Kurz vor dem Auftritt hat er festegestellt, dass er nur einen Schuh dabei hattte, so musste er die Schuhe des Simple Minds Gitarristen Charlie Burchill anziehen - und sie waren ZWEI Nummern kleiner als Jims Füße...

"Wir vergessen gelegentlich alle etwas..."

Jim Kerr ist so etwas wie ein Familienmitglied, jemand den man gut kennt. Seit mehr als 30 Jahren begleiten uns die Simple Minds mit ihrer Musik. Jim bedankt sich für diese Feststellung und fragt: "...bin ich Dein Onkel, oder Dein Großvater...?" Nein, ein guter Freund.

Simple Minds sind eine typische Band einer ganzen Generation. Und es ist immer eine Freude von ihnen zu hören. 35 Millionen verkaufte Alben, Songs wie "Don't you forget about me", "Alive and kicking" oder "Belfast Child" - kennt wirklich jeder.

Natürlich gab es auch schlechte Zeiten in der Karriere der Simple Minds. Vor 10 Jahren etwa war die Luft raus, Jim dachte schon an das Ende der Band. Man kann nicht immer ganz oben sein. Heute sieht es umso besser aus: das fünfzehnte Album ihrer Karriere "Graffiti Soul" ist sehr gut. Es ist nicht leicht, wenn man sagt: macht ein Album wie früher, aber es soll durchaus auch neu klingen. Ist das kein Wiederspruch in sich? Ein Album zu machen, dass klassisch nach Simple Minds klingt und die Energie von heute ausstrahlt? Genau das ist es, was "Graffiti Soul" ausmacht. Acht Songs, 40 Minuten Länge (wozu braucht man mehr Titel auf einem Album, fragt Jim). Zu jedem Song gibt es eine Geschichte und Jim erzählt diese Geschichten so, dass man sich am liebsten ganz viel Zeit für ihn nehmen würde.

"Moscow undergroud" kam so zu Stande: Jim bekam eine Postkarte aus Moskau, auf der eine U-Bahn Station zu sehen ist, die wie ein Palast aussieht. Er hängte die Postkarte über seinem Schreibtisch und diesem Moment rief Charlie an und spielte ihm eine Melodie vor... schon wurde die Idee für den Song geboren.

Oder "Kiss and fly": Jim war in Nizza am Flughafen, er sah die Schilder "Arrivals, Departures..." und dann sah er ein Schild "Kiss and fly" und er begriff schnell dass "Kiss and fly" ein Parkplatz ist: man darf für 20 Sekunden das Auto parken und hat 20 Sekunden Zeit für einen Abschiedskuss! In Groß-Britannien wäre das nicht denkbar! Diesen Sinn für Romantik kann es nur in Frankreich geben.

In diesem Jahr wird Jim Kerr 50. Jim sagt gleich: Er könne mit einer großen Feier einfach nicht umgehen. Dennoch hat er entschieden, es sich schön zu machen: die Simple Minds werden am Tag vor seinem Geburtstag, am 8. Juli im Pariser Olympiastadion spielen: einem legendärem Ort, an dem schon Edith Piaf aufgetreten war.

Einige Freude aus Glasgow, die in diesem Jahr auch 50 werden, sind dann mit dabei und alle werden feiern. Als Kind besuchte Jim eine Schule in Glasgow, die einige bekannte Musiker auch besucht haben: Fran Healy von Travis und Johnny von Texas beispielsweise. Jims großes Fußballherz schlägt für Celtic Glasgow. Wir wissen, dass er in Taormina ein Hotel hat, aber wo lebt Jim eigentlich? Auf diese Frage folgt die Geschichte, dass Jim nachdem seine Mutter erkrankt war, das letzte Jahr in Glasgow gelebt hat. Als Jim neulich bei der Kontrolle in Groß-Britannien gefragt wurde, wo er lebt, wurde er unruhig. Er hat kein Dokument bei sich, auf dem sich eine Wohnadresse wiederholt. Jim pendelt zwischen Sizilien und Glasgow und sagt: er sei ein Reisender, der bei sich immer seine T-Shirts, Jeans und Bücher hat.

Wir haben noch über so viele Musiker gesprochen, dass wir die Zeit vergessen haben: so hätte es ewig weiter gehen können.

"Alles klar?" fragte Jim

"Alles klar, Jim. Bis zum nächsten Mal."





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